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Essay: Was hat die denn damals bloß geritten? Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von Restriktion zur Vorbereitung ihrer Abschaffung

Jan Geisel-Brinck und Stefan Brackertz
Fachschaft Physik, Universität zu Köln

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Anwesenheitspflichten, Klausurversuchsrestritktionen, Zugangsbeschränkungen, Voraussetzungsketten, „endgültiges Nichtbestehen“… Restriktionen solcher Art stehen seit Jahrzehnten in der Kritik. Und diese Kritik ist nicht nur berechtigt, sondern auch qualifiziert. Dennoch prägen sie nach wie vor den Hochschulalltag. Warum?

Klar, auch an Hochschulen gibt es Menschen mit sadistischen Zügen, mit autoritären Neurosen, aber das trifft glücklicherweise auf die wenigsten zu. Die wenigsten feiern Restriktionen, viele sympathisieren nicht nur mit deren Kritiker*innen, sondern auch mit deren Kritik. Aber das reicht offenbar nicht. Das reicht offenbar deshalb nicht, weil aus verschiedenen Gründen immer noch der Mut fehlt, auf Restriktionen zu verzichten.

Warum dieser Mut fehlt, ist nicht nur eine komplizierte Frage, sondern vor allem eine, hinter der zahlreiche Menschenbildfragen und (bildungs-)politische Konflikte stehen. Dieser Frage soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden (wohl aber an anderer). Vielmehr soll hier – im Bewusstsein, dass sich die Konflikte natürlich nicht übergehen lassen – ein Plädoyer dafür gehalten werden, in jedem konkreten Fall mit allen Beteiligten die Geschichte der zur Debatte stehenden Restriktion zu rekonstruieren.

Blick zurück nach vorn

Restriktionen sind immer Hindernis für das, worum es im Physikstudium eigentlich geht: Menschwerdung und Physik lernen – nicht Bravheit und Studienordnungen. Zudem behindern restriktive Reglements die Dynamik, die notwendig ist, um eine Einheit von Lehre und Forschung zu realisieren, denn Forschung bedeutet ja gerade, ständig Neues zu entwickeln. Sie stehen damit im grundsätzlichen Konflikt zum Wesen einer Universität, selbst wenn man sich auf konservative Standpunkte einlässt.

Deshalb ist es höchst unwahrscheinlich, dass Restriktionen ohne Kontroversen, aus denen man lernen könnte, Einzug in Studienordnungen gefunden haben. Und falls doch, ist es umso naheliegender, sie wieder abzuschaffen.

Betreibt man Studienordnungs-Archäologie, lassen sich Restriktionen angesichts ihrer Entstehungsgeschichte in vier Kategorien einordnen:

  1. Formalismus und Gedankenlosigkeit

    Als wir z.B. in Köln der Frage nachgegangen sind, warum es in den Ba/Ma-Studiengängen der ersten Generation nur drei Klausurversuche gab, war die Antwort verblüffend: Niemand konnte sich an eine Debatte erinnern, das Nebeneinanderlegen von Diplom- und Bachelor-Prüfungsordnung gab aber schnell eine Antwort: Die Abschnitte, die „Prüfungsleistungen“ regelten, waren fast wortgleich, offensichtlich copy&paste mit minimalen redaktionellen Korrekturen. Aber: Im Diplom waren die Klausuren am Ende des Semesters keine Prüfungsleitungen, sondern nur „Scheine“. Besagte Passage, deren Ursprung wir nicht weiter nachgegangen sind und die auch zu Diplomzeiten wahrscheinlich nicht besonders sinnvoll war, fand im Diplom bei nur ganz wenigen Prüfungen, den mündlichen Abschlussprüfungen, Anwendung, bei denen sie zudem keine Rolle spielte, weil dabei (im Gegensatz zu Klausuren) eh so gut wie nie jemand durchfiel und es eher um 1.0 versus 2+ ging. Durch formalistisch-gedankenlose und zugleich nicht sachgerechte Übertragung vorhandener Regularien ohne Diskussion hatte eine schwerwiegende Restriktion Einzug in den Studiengang gehalten, die in einem 2-jährigen Prozess aufwändig wieder weg gekämpft werden musste.

  2. Prävention

    Wann immer große Neuerungen Einzug halten, kommt der Reflex auf, dass man, mangels Erfahrungen, für alle Fälle gewappnet sein müsse, alles im Griff haben und festlegen müsste, damit es nicht zu bösen Überraschungen komme. Ein typisches Beispiel dafür sind abgefahrene und oft bedenklich elitäre, konkurrenzhafte und willkürliche Zugangsregelungen bei der Einführung neuer interdisziplinärer Master-Studiengänge. Das Beispiel schlechthin war die Einführung des Ba/Ma-Systems, das quasi eine ganze Generation präventiv-restriktiver Studiengänge mit sich brachte.

    Abgesehen davon, dass ein bisschen Mühe in eine sorgfältige Risiko-Abschätzung gesteckt, vieles davon überflüssig gemacht hätte, abgesehen davon, dass man auch erstmal das Risiko, dass nicht alles glatt läuft eingehen und dann nachkorrigieren könnte, darf es auf keinen Fall bei solchen Restriktionen bleiben: Fällt einem nichts Besseres zur Befriedigung allgemeiner Paranoia ein als präventive Restriktionen, muss man zumindest ein Verfahren mitbeschließen, das festlegt, wie man deren tatsächliche Notwendigkeit im Nachlauf evaluiert und möglichst viele davon möglichst bald wieder abschafft. Und: Wurde das versäumt, ist es höchste Zeit dies jetzt sofort nachzuholen!

  3. Notlösungen für reale Probleme

    Typisches Beispiel: die Dozierenden des Studienganges XY sind frustriert, dass niemand zum Seminar kommt und die Debatte unter den wenigen, die dann doch kommen, mangels Vorbereitung zu wünschen übrig lässt. Die übliche Notlösung: Anwesenheitspflicht und eventuell sogar Abfrage der Hausaufgaben mit der Konsequenz, dass Studierende, die sie häufige nicht gemacht haben, die Klausur am Ende des Semesters nicht mitgeschrieben haben. Offensichtlich maximal schlecht und sozial ignorant. Scheinbar niedrigere Durchfallquoten gehen dann auf Kosten derjenigen, die schon im Semester auf der Strecke bleiben. Allen wird zudem ein fester Arbeitsrhythmus aufgezwungen. Selbstständiges Lernen entwickelt sich so nicht. Bessere Alternative: „Ich habe von Kollegin AB aus Studiengang FG gehört, dass die auch ohne solche Restriktionen gut klar kommen. Lasst uns doch mal mit denen zusammen setzen und heraus finden, warum das bei denen klappt und bei uns nicht!“

  4. Historische Relikte

    Gar nicht so selten werden Restriktionen als Notlösung für Probleme eingeführt, die dann aber doch besser gelöst werden oder sich auf Grund anderer Änderungen erübrigen. Hat niemand auf dem Schirm, was der ursprüngliche Sinn der Restriktion war und dass man sie nun auch abschaffen kann, bleibt sie einfach. So sammelt sich über die Jahre oft ein ganzer Zoo anachronistischer Restriktionen an, der nicht nur unübersichtlich und steif ist, sondern auch dazu führt, dass alle nur noch damit beschäftigt sind, zu Recht als Schikane empfundene Regelungen unter einen Hut zu bringen, anstatt sich mit Physik zu beschäftigen. Einfache Lösung: Keine Restriktion ohne Begründung – und zwar nicht in irgendeinem Kommissionsprotokoll, sondern genau und überall da, wo auch die Restriktion selbst steht.

Und: Die entscheidende Frage sollte niemals sein: „Ist es OK, ist es zumutbar?“, sondern immer: „Wie geht es noch besser?“!

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