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Konsequenzen aus drei Jahren Studienreformforschung

Wir dokumentieren den Workshop des Studienreform-Forums 2022. Diese Dokumentation ist in der PhyDid B erschienen 2022 erschienen.

Das Studienreform-Forum sammelt seit drei Jahren Materialien zur Dokumentation, Diskussion und Analyse von Studiengängen im deutschsprachigen Raum. Der diesjährige Workshop diente der Diskussion der Themen, die in den Vorjahren bereits so weit durchgearbeitet wurden, dass nach Einschätzung der Organisator*innen alle wesentlichen Argumente herausgearbeitet sind. Dieser Artikel dokumentiert die Debatte. Kernthemen dabei waren die Flexibilisierug von Studiengängen und Prüfungsversuchsbeschränkungen. Auch angesichts der Erfahrungen mit Sonderregelungen während der Corona-Pandemie konnten überraschend viele Konsense in Fragen erreicht werden, die in den Vorjahren noch strittig waren.

1. Einleitung

Das Studierenform-Forum begann 2018 während der Zusammenkunft aller Physik-Fachschaften (ZaPF) mit einer Frage: Wenn wir Studienreform machen - lokal an unseren jeweiligen Universitäten – was ist unsere wissenschaftliche Grundlage? Gesammelt und ausgetauscht wird häufig Anekdotisches, aber an Fachliteratur und einer ernsthaften wissenschaftlichen Herangehensweise schien es damals zu mangeln. Die Hochschuldidaktik der Physik sei relativ klein, und beziehe sich oft eher auf Einzelveranstaltungen als auf den Aufbau von Studiengängen. Ein Ruf nach Daten und ein jährlicher Call-for-Paper wurden gestartet.

Materialien wurden sowohl von Studierenden als auch von Dozierenden eingereicht: konkrete Reformansätze, empirische Befunde, Meinungartikel, auch satirische Beiträge. Vieles war universitätsspezifisch, einiges von übergreifender Bedeutung.

Auf der DPG-Frühjahrstagung 2019 (Aachen) veranstaltete das Forum einen Workshop, in dem die ersten Arbeiten präsentiert und diskutiert wurden. 2021 wurde das (digital) wiederholt mit neuen Materialien und einem gesonderten Blick auf die Pandemie [1, 2]. Der hier dokumentierte Folgeworkshop ist als Weiterentwicklung dieser beiden Veranstaltungen zu verstehen. Denn zunehmend drängte die Frage: Wir haben jetzt vieles gesehen und gelernt, aber welche Konsequenzen sind nun daraus zu ziehen?

Vier Themenkomplexe wurde vorbereitet und vorgeschlagen, die bereits mehrfach und relativ breit im Rahmen des Studienreform-Forums diskutiert wurden:

  1. Flexibilisierung von Studienverläufen
  2. Beschränkung von Prüfungsversuchen
  3. Informelle Kommunikation
  4. Systematische Kommunikation

Das Konzept des Workshops bestand darin, Positionen bezüglich dieser Themen zu formulieren und die wesentlichen Argumente dazu als Diskussionsgrundlage zu präsentieren. Diese Argumente wurden aus den Diskussionen der letzten drei Jahre gesammelt und ihr Entstehungskontext ist im entsprechenden PhyDidB Artikel nachzulesen. Das Ziel der Veranstaltung: direkt in die Analyse von Argumenten einzusteigen, um die Diskussion der Konsequenzen in den Mittelpunkt zu stellen.

Aus Zeitgründen wurden die Debatte zur Kommunikation nur kurz angerissen und im Wesentlichen verschoben. Herausgearbeitet wurde lediglich, dass es wichtig ist, dass Kommunikation sowohl vertikal zwischen den Hierarchieebenen der Hochschulen als auch horizontal innerhalb dieser Hierarchiebenen, und zwar immer in beide Richtungen stattfinden muss.

Ausführlich diskutiert wurden die Flexibilisierung von Studiengängen und die Beschränkung von Prüfungsversuchen.

2. Flexibilisierung von Studiengängen

2.1. Aspekte

Als gemeinsamer Ausgangspunkt für die Debatte wurden die verschiedenen Aspekte der Flexibilisierung bzw. die verschiedenen Stellen, an denen sie greifen kann, dargestellt.

  1.  Die Kommunikation über den Studienverlauf und die im Studium existierenden Abhängigkeiten kann angepasst werden. Damit werden vorhandene Möglichkeiten, den Studiengang eigenständig zu gestalten, vermittelt, bzw. in der Universitätskultur lebendig vertreten. (z.B. das Sammeln und Veröffentlichen alternativer Studienverläufe)
  2. Inhaltlich begründete Modulzulassungsbeschränkungen können aufgehoben werden. (Beschränkungen wie: theoretische Physik I muss erfolgreich absolviert werden bevor die theoretische Physik II begonnen werden darf)
  3. Anderweitig begründete Modulzulassungsbeschränkungen können aufgehoben werden. (Beschränkungen wie: 120 Leistungspunkten werden gebraucht um die Bachelorarbeit anzumelden.)
  4. Der in Modulen behandelte Stoff kann verändert werden. Hier geht es also um die Verteilung des vermittelten Inhalts. (z.B. Ein Exkurs zur Vektoranalysis wird während der Elektrodynamik angeboten. Das erlaubt das Besuchen der Veranstaltung ohne vorher notwendigerweise einen bestimmten Mathekurs belegt zu haben.)

Die Argumente für und gegen diese Flexibilisierungsaspekte sind in der folgenden Abbildung zu finden.

2.2. Diskussion

2.2.1. Analyse und Gewichtung der Argumente

Zunächst ging es viel um die Argumente selber: welche sind sinnvoll, welche weniger? Konkrete Beispiele wurden zur Diskussion gestellt. Die präsentierten Argumente wurden sich zu eigen gemacht, kritisiert, verglichen und teils individuell gewichtet.

Die Selbstständigkeit der Studierenden und ihr Lebensbild

Mit „In meinem Studium konnte ich damals viel mehr selber entscheiden“ wurde in die Diskussion eingestiegen. Die Wichtigkeit das Argumentes, vor allem innerhalb der Wissenschaften sich selber mit dem Stoff auseinanderzusetzen, wurde betont. Was muss ich wissen, um Quantenmechanik anzugehen? Was empfehlen mir dazu die verschiedene Bücher? Das könne man selber angehen. Die Position, Studierende seien somit in der Lage ihren Weg selber zu finden, fand Anklang.

Als kritisches Beispiel wurde eingebracht, dass Menschen, die z.B. eine Prüfung ganz ans Ende des Studiums verschieben, sich einen sehr hohen Druck damit aufbauen. Zwar entscheidet sich die Person in dem Moment selber dafür, doch vor allem ganz jungen Studienanfänger:innen, die immer mehr aufzufinden seien, müsste manchmal auch mit externen Maßnahmen geholfen werden. Wenn man weiß, es existiert ein „Dead-End“, warum würde man da nicht eingreifen?

Eingeräumt wurde von allen Diskutierenden, dass es (auch insbesondere bei jüngeren Menschen) sehr wichtig ist, das Leben außerhalb vom oder im breiteren Universitätskontext zu berücksichtigen. Entdeckt eine Person mit 20, sie will in die Biologie reinschnuppern, so solle es kein Problem sein, das zu tun. Auch den Menschen, die neben dem Studium arbeiten, oder Zeit für ihnen wichtige Aktivitäten wollten, solle prinzipiell nichts im Weg stehen. Es sei eine traurige Feststellung, dass Menschen, die motiviert und neugierig an die Universität kommen (auch mit gutem Abitur, so die eine Mitdiskutierende) diese Haltung verlören und irgendwann scheiterten.

Das Tempo variabel machen: Alternative zur oder Facette der Flexibilisierung?

Es kam das Argument auf, Flexibilisierung von Studiengängen sei nachrangig im Vergleich zur Möglichkeit, dass Menschen in ihrem eigenen Tempo studieren. Letzteres reiche oft sogar schon aus, und eine weitere Flexibilisierung sei gar nicht notwendig. Deshalb sei die Einrichtung zusätzlicher Studiengänge, die auf eine längere Regelstudienzeit ausgelegt seien, hilfreich. In entschleunigten Semesterplänen könne man mit ergänzenden Tutorien, Umsortierungen und Praktika auch viel für leistungsschwächere Studierende machen, was (dennoch für alle) die Motivation und den Spaß erhöhe. Auch leistungsstärkere Studierende, nutzten z.B. im Falle Aachen den 8-Semester-Bachelorstudiengang, um ein breiteres Spektrum an für Sie interessanten Fachgebieten zu erschließen. Dennoch gelte: Der Erwerb von Basiswissen sei zum Studienanfang unausweichlich, was die Möglichkeiten zur Umordnung der Inhalte stark einschränke. Wenn Studierende zu stark von der fachsystematisch begründeten klassischen Reihenfolge abwichen, müssten sie deshalb faktisch Basiswissen später selbständig nachholen. Gerade Studierende, die aus dem Tritt gekommen seien, seien damit typischerweise überfordert.

Dem wurde der Einwand entgegengehalten, dass motivierte Studienanfänger*innen mit guten Voraussetzungen auch scheiterten, wenn Vorstellungen bzw. ihre Hoffnungen zunächst systematisch enttäuscht würden. So hätten z.B. viele Studienanfänger*innen noch keinen Bezug zur Mathematik, müssten sich aber hauptsächlich damit auseinander setzen und würden bezüglich der Themen, für die sie sich eingeschrieben haben, um mehrere Semester vertröstet. Studierende erlitten oft eine schwierige Anfangszeit, weil sie nicht direkt Resonanz finden mit den Sachen, die sie tatsächlich interessieren, auch wenn es diese später im Studium gibt. Die lange Wartezeit erschöpfe die Motivation und Neugier und schaffe Distanz zur ursprünglichen Begeisterung. Hier sei eine Entschleunigung nicht unbedingt das richtige Hilfsangebot.

Ein Blick auf konkrete Studiengänge im Rahmen des Studienreformforums habe zeigt, dass es oft „Säulen“, also in sich abgeschlossene Abhängigkeitsketten gebe, die man gegeneinander gut verschieben könne [3]. In Aachen wurden Dozierende ausführlich befragt, welche Vorkenntnisse tatsächlich relevant sind für die jeweilige Vorlesungen. In der Tat seit das Ergebnis auch hier gewesen, dass die zwei Säulen „Theoretische Physik“ und „Experimentelle Physik“ in sich abgeschlossen seien, mit Ausnahme der Quantenmechanik. Ein echtes Potential zur Flexibilisierung existiere also über die Entschleunigung hinaus.

Angemerkt wurde noch, dass je nach Ziel, Flexibilisierung anders aussehen müsse. So habe z.B. eine Person, die durchgefallen ist, andere Probleme mit einem starr aufgebauten Studium als eine Person, die theoretische Physik den experimentellen Vorlesungen vorziehe. Dies traf auf Zustimmung, mit dem Einwand, es könne dennoch Minimalziele geben, die in allen diesen Fällen etwas brächten.

Lokalität

Gegen Ende der Diskussion wurde noch die Frage aufgeworfen, ob man in der Frage der Flexibilisierung uniübergreifend überhaupt weiterkommen könnte? Sei die Flexibilisierung in ihrer Essenz nicht sehr universtitätslokal? Man könne zum Beispiel nicht gut Universitäten mit Zwischenprüfungen (wie oft in Süddeutschland zu finden) vergleichen mit welchen, an denen im Prinzip alle Module (ob sinnvoll oder nicht) in beliebiger Reihenfolge und ohne Prüfungsversuchsbeschränkungen studiert werden dürften. Es müsse sehr lokal gearbeitet werden mit dem, was man vor Ort hat. Auch wenn hier grundsätzlich Konsens herrschte, dürfte man dabei nicht unterschätzen, dass der Austausch zwischen Universitäten die verschiedenen Möglichkeiten sichtbar mache, die Inhalte der Physik zu gestalten, so das Fazit. Man sehe durch diesen Austausch oft Freiräume, wo man vorher keine gesehen habe. Zudem könne man weit verbreitete Restriktionen, die Flexibilisierungskonzepten im Wege stünden, so gut gemeinsam angehen.

2.3. Konsequenzen der Argumente und Diskussion dieser

Wenn auch nicht explizit, so induzierte die obige Analyse, zumindest bei den konsensualen Punkten, folgenden Handlungsappell:

  1. Die Frage der Flexibilisierung sei explosiv vielfältig. Durch die Verschmelzung der verschiedenen Gründe für Flexibilisierung ist es schwierig, die einzelnen Handlungsstränge auseinanderzuhalten. Verschiedene Ziele erforderten dennoch verschiedene Mittel und die Universitäten sind so divers, dass der sinnvollste Startpunkt in einem Flexibilisierungsprozess das eigene Modulhandbuch sei. Obsolete Zusammenhänge könnten aufgefunden werden, und es lohne sich, an der eigenen Universität die Revision von intermodularen Abhängigkeiten anzugehen. Die Befragung von Dozierenden, was sie tatsächlich für ihre Vorlesung brauchen, und der Vergleich mit dem Rahmen der Studienordnung liefere oft überraschende Spielräume zur Aufweichung von veralteten oder tautologischen Strukturen.
  2. Wichtig sei dabei der Austausch. Man finde, wenn man auch in andere Modulhandbücher schaue, immer Möglichkeiten der Umgestaltung. Das bedürfe intensiver Auseinandersetzung mit fremden Studiengängen, liefere aber auch z.B. hier im Forum Einsichten. Dies bestätigte den mit den Studiendiagrammen [4] eingeschlagenen Weg.
  3. Durch das Aufweichen von (lokal und empirisch aufgefundenen) Abhängigkeiten, die eigentlich nicht (mehr) notwendig sind, könnten Lerngruppen erhalten bleiben, auch wenn ein Teil davon z.B. durch eine Prüfung falle. Durch die differenzierte Kommunikation der empfohlene Studienreihenfolge könne eine Entmutigung Studierender vermieden werden, die z.B. innerhalb einer „Säule“ (Theoretische Physik, Experimentelle Physik) doch gut klargekommen wären.
  4. Entschleunigung stelle ein wichtiges Werkzeug der Flexibilisierung dar. Das Studierenkönnen im eigenen Tempo sei – so habe auch die Corona- Pandemie zum Vorschein gebracht (s. Forum 2021, [2]) – wichtig und etwas, was in den Blick genommen werden muss. Dabei bedürfe es mit BAFöG und Ähnlichem kompatibler Lösungen.
  5. Über die Entschleunigung hinaus müsse geprüft werden, wie durch Veränderung der Stoffaufteilung auf die einzelnen Module, Abhängigkeitsketten reduziert werden könnten. Inhaltlich alternativen Studienstarts könnten der Motivation und den Interessen der Studierenden entgegenkommen. In Köln werde beispielsweise in Erwägung gezogen, verschiedene Einstiege anzubieten: bspw. einer, was mathematisch orientierter ist, und einer, der Praktika und Experimentalphysik vorzieht.

Im Vergleich zu 2019 erwies sich eine Atmosphäre, die deutlich offener gegenüber verschiedenen Ideen der Flexibilisierung war. Dies kann sicherlich an der Stichprobe der (aktiven) Anwesenden liegen. Doch der Wille, diversere Studienverläufe zu erlauben, und die Meinung, dass dies auch gewinnbringend und sinnvoll ist, schien stärker vertreten. Kleinere Dissense gab es vor allem über die Modi (z.B. Entschleunigung vs. Umordnung). Artikuliert wurde eine Skepsis, ob man alle Beweggründe (Nebenjob, Neugier) gleichzeitig bedienen könne. Dennoch: Dass Studierende real „auf jeden Fall flexibilisiert“ studieren, also in der Regel und nicht im Ausnahmefall von von Studienverlaufsplänen abweichen (Aachen: es schließen nur 7% der Maschinenbaustudierende in Regestudienzeit ab), sei eine Tatsache, der Universitäten berücksichtigen müssten. Eine lebensnähere Gestaltung des Studiums sei im Sinne der Universität. Während der Pandemie habe sich diese Haltung sicherlich weiterentwickelt.

3. Beschränkte Klausurversuche

Die Argumente, die für oder gegen die Beschränkung von Prüfungsversuchen sprechen und als Input präsentiert wurden, wurden im Wesentlichen bereits im Forum 2019 [1] herausgearbeitet. Sie finden sich in der folgenden Abbildung:

3.1. Diskussion

3.1.1. Unterstützung für die Abschaffung

Konträr zur Erfahrung beim Forum 2019 herrschte bei diesem Thema auf Anhieb Konsens, obwohl viele Teilnehmer*innen dabei waren, die 2019 entgegengesetzte Positionen vertreten hatten: die Klausurversuchsbeschränkungen können abgeschafft werden. Das Ressourcenargument sähe man aus dem Grund nicht, dass es ohnehin um wenige Fälle gehe, die in einer 4., 5., usw. Prüfung überhaupt kommen würden. Zudem sei das Argument der „harten Berufswelt“ dadurch entkräftet, dass man sich ja immer neu orientieren könne, z.B. bei einer Kündigung; ein Analogon zum endgültigen Nichtbestehen existiere in der Berufswelt nicht. Die Corona Pandemie habe „die größte Studie“ bezüglich der Abschaffung induziert, und man habe überall die Erfahrung gemacht, dass niemand die Prüfungsversuchsbeschränkungen vermisste.

Im Wesentlichen wurden zwei Argumentationsstränge vertieft:

Angst vor aufgeschobenen Prüfungen

In Aachen beobachte man viele Studierende, die die Klausurzulassung erwerben aber nicht antreten. Das sei auch ein wachsender Anteil. Während der Pandemie habe man allerdings „anekdotische Evidenzen“ dafür gesammelt, dass eine Aufhebung der Beschränkung hier helfe. Leute, die eine psychologische Barriere bezüglich einer Prüfung haben, konnten die Prüfung dann einfach ablegen. Man habe zudem erfahren, dass einzelne Langzeitstudierende sich die Ausnahmeregelung zu Nutze machen konnten, um für sie problematische Prüfungen endlich anzugehen und dann auch zu absolvieren. Es wurde von Studierenden darauf hingewiesen, dass Fälle existieren, wo das Studium vor einem etwaigen Drittversuch sogar abgebrochen wird, um sich „die Chance nicht zu verderben“, irgendwann im Leben nochmal etwas Ähnliches studieren zu können.

Es wurde auf das Bielefelder Modell hingewiesen, in dem seit 2002 uniweit keine Prüfungsbeschränkungen mehr existieren. In dem dürfe man sogar auch bestandene Prüfungen zur Notenverbesserung wiederholen, was die Angst vor der Prüfung weiter reduziere. Diese Möglichkeit würde je nach Fachbereich auch in Anspruch genommen, führe aber nicht zu erheblichen Mehrbelastungen der Dozierenden; insgesamt seien die Bielefelder Zahlen sehr ermutigend [5].

Für alle relevant

Vor dem Hintergrund der Einigkeit im Workshop über die Abschaffung der Beschränkung kam die Frage auf, was denn an Universitäten die Gegenargumente seien, die die Abschaffung hemmten. In Österreich sei es im Hochschulgesetz geregelt. In Köln habe es lange beim Argument gehangen, dass sehr wenige Betroffen wären, und eine Neuausrichtung nicht relevant wäre. Entscheidend sei allerdings die Einsicht gewesen, dass die Universitätskultur bei der Abschaffung der Beschränkungen im Breiten verbessert werde. Es würde insgesamt mehr entwicklungs- und weniger absicherungsorientiert studiert und Studierende weniger in die Kosten-Nutzen Überlegungen gedrängt, die für die Lernatmosphäre toxisch seien.

3.2. Konsequenzen

Bis auf eine Stimme, die sich eine nähere Betrachtung der Daten wünschte (aber prinzipiell zustimmte), herrschte eine erstaunlich leidenschaftliche Einigung darüber, dass Klausurversuchsbeschränkungen abgeschafft werden sollten. Sie seien von wenig Nutzen und befeuerten nur Ängste. Der Wunsch wurde artikuliert, in größeren Kreisen, z.B. mit der KFP oder DPG, auch mit Unterstützung des Bielefelder Projektes, die Debatte zu führen. Zweierlei Appelle wurden den Anwesenden mitgegeben:

  1. Man solle Statistiken führen, wie viele Studierende die Klausurzulassung erwerben, aber nicht antreten. Dies sei eine Messgröße der (wachsenden) Klausurangst.
  2. Auch wenn die Daten Aufgrund vieler paralleler Änderungen mit Vorsicht zu genießen seien, solle man sich die Auswirkungen der Corona-Sonderregelungen in den Statistiken bzgl. Modulabschlüssen anschauen. Deren Auswertung würde eine weitere wissenschaftliche Grundlage schaffen für die Debatte über die Abschaffung von Klausurversuchsbeschränkungen.

Es wurde die Verschriftlichung und Verbreiterung dieses Standpunktes zu Prüfungsversuchsbeschränkungen gefordert.

4. Literatur

[1] Brackertz et al.: Forum Studienreform. In: PhyDid B 2019, insbesondere im Beitrag „7 Semester ohne Klausurversuchsbeschränkungen – 7 Semester entwicklungs- statt absicherungsorientiert studieren“

[2] Brackertz et al.: Workshop: Hochschuldidaktische Konsequenzen aus zwei Semestern Krisenlehre. In: PhyDid B 2021

[3] Brackertz et al.: Wie sieht die Struktur des Phyikstudiums aus? In: PhyDid B 2021

[4] Webtool zur Erstellung von Studiengangs-Diagrammen:
http://studiengang-diagramm.de

[5] Bergische Universität Wuppertal, ZIM: Mitschnitt Tag des Studiums 17.11.2021

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