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Hochschuldidaktische Konsequenzen aus zwei Semestern Krisenlehre

Wir dokumentieren die Abschussdiskussion des Workshops "Hochschuldidaktische Konsequenzen aus zwei Semestern Krisenlehre" auf der DPG-Frühjahrstagung 2021. Dieser ist in PhyDid B 2021 dokumentiert.

Die Umstellung des Lehrbetriebs an den Hochschulen auf Online-Lehre hat nicht nur technische, sondern vor allem auch didaktische Herausforderungen mit sich gebracht, die vielfältig – und zum Teil sehr unterschiedlich – beantwortet wurden. An einer systematischen hochschulübergreifenden Auswertung fehlt es bislang aber noch. Im hier dokumentierten Workshop wurde der aktuelle Stand exemplarisch vorgestellt und diskutiert, wie es gelingen kann, dass die wertvollen Erfahrungen dieser Zeit nicht mit der Rückkehr zur Präsenzlehre verloren gehen.

1  Einleitung

Auf der Frühjahrstagung 2021 des DPG-Fachverbands Didaktik der Physik hat das Studienreform-Forum, eine Initiative, welche sich systematisch mit der Beschaffenheit von Studiengängen im deutschsprachigen Raum beschäftigt, einen Workshop veranstaltet, um die Auswirkungen der Coronakrise auf die akademische Lehre in der Physik zu diskutieren. Der Fokus lag dabei nicht auf technischen, sondern vor allem auf didaktischen Herausforderungen.

Die erste Hälfte des Workshops bestand aus fünf Inputs, die von Positionierungen zur aktuellen Corona-Situation an den Hochschulen über konkrete Beispiele für deren institutionelle und veranstaltungsbezogene Gestaltung bis zu ersten Evaluationen reichten. Auf diese Inputs, die größtenteils von den Referenten selbst verschriftlicht wurden, folgte eine für alle Teilnehmer:innen offene Podiumsdiskussion.

Im Folgenden wird dieser Beitrag dokumentiert, wobei nach Möglichkeit auf die Verschriftlichungen der Referenten zurückgegriffen, die Reihenfolge der Beiträge aber teils minimal umgestellt wurde.

2  Inputs

2.1 Positionen der ZaPF zu Online-Lehre und Studienbedingungen während der Pandemie

[Der Input wurde durch den Ständigen Ausschuss aller Physik-Fachschaften selbst verschriftlicht.]
Der Workshop begann mit einer Lagebewertung aus Studierendenperspektive. Einen Input dazu hielt Andreas Drotloff als Vertreter der Zusammenkunft aller Physik-Fachschaften (ZaPF). In diesem Beitrag werden einige Beschlüsse der ZaPF angeführt, welche die Perspektiven und Forderungen der Studierenden auf den Punkt bringen:

Der Beginn der Corona-Pandemie brachte im März 2020 die komplette Gesellschaft und damit auch das Leben an den Hochschulen zu einem abrupten Stillstand. Auch in den Organisationen der Studierendenvertretung nahm das Thema Corona schnell überhand, denn die pandemisch bedingten Maßnahmen brachten für Studierende eine Vielzahl an neuen Problemen mit sich. Die Beschlüsse der Zusammenkunft aller Physik-Fachschaften (ZaPF) zu diesem Thema sollen an dieser Stelle einen Einblick in die Debatten geben, die auf studentischer Ebene im letzten Jahr stattgefunden haben.

2.1.1 Forderungskatalog des Solidarsemester-Bündnisses (März / April 2020)

Das Solidarsemester-Bündnis wurde im März 2020 auf Initiative des fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften) ins Leben gerufen. Ziel war ein gemeinsamer Forderungskatalog an Politik und Hochschulen, der von möglichst vielen studentischen Organisationen mitgezeichnet werden sollte. Letztendlich schlossen sich 217 nationale, regionale und lokale Organisationen (u.a. die ZaPF) dem Bündnis an und gaben dem Katalog damit eine große Legitimation.

Eines der Kernthemen war dabei die Sicherung der Studienfinanzierung. Durch den unerwarteten Wegfall von Nebenjobs, bspw. in der Gastronomie, standen viele Studierende vor großen finanziellen Schwierigkeiten. Das Bündnis forderte deswegen neben einer grundsätzlichen Reform des BAföG unbürokratische Lösungen, insbesondere Soforthilfen und eine Öffnung des ALG II für Studierende. Um darüber hinaus sicherzustellen, dass keine Studierenden aufgrund der Pandemie zum Abbruch gezwungen werden, wurde die Aussetzung von Regelungen zur Zwangsexmatrikulation und eine Verringerung der Prüfungslast im Sommer gefordert – hier drohten die verschobenen Nachprüfungen eine Doppelbelastung zu erzeugen. Auch auf die große Bedeutung von digitalen Angeboten wurde eingegangen. Der Katalog beinhaltet hier Forderungen nach Qualitätsstandards für digitale Lehre, Fortbildungsangebote für Dozent*innen und eine grundlegende Barrierefreiheit, besonders in Hinblick auf die schlechte Abdeckung mit schnellem Internet an vielen Orten Deutschlands.

Leider wurden viele der Forderungen des Bündnisses nicht aufgegriffen, so dass sich in den kommenden Monaten die befürchteten Probleme einstellten und teilweise noch verschlimmerten. Als Reaktion veröffentlichte das Solidarsemester-Bündnis im November 2020 eine aktualisierte Version der Forderungen, in denen die Kernthemen – besonders die Studienfinanzierung – erneut enthalten waren.

2.1.2 „Aus der Krise lernen – Perspektiven der Hochschullehre für zukünftige Semester“ (Juni/Juli 2020)

Im Juni 2020 veranstaltete die ZaPF erstmalig eine digitale Tagung, in deren Rahmen unter anderem eine Resolution zur Lehre unter Corona-Bedingungen beschlossen wurde. Unter dem Eindruck sinkender Fallzahlen und Öffnungen in vielen Gesellschaftsbereichen war eine zentrale Forderung, Maßnahmen zu entwickeln, um den Präsenzbetrieb an den Hochschulen wieder aufnehmen zu können. Dem lag die Feststellung zugrunde, dass sich besonders gesellschaftliche Aspekte der Hochschule nicht in die digitale Welt übertragen lassen.

Darüber hinaus forderte die ZaPF den Beginn eines grundsätzlichen Reflexionsprozesses der Hochschuldidaktik auch über die Pandemie hinaus, da diese viele bestehende Herausforderungen nur verdeutlichte. Um diesen Prozess mitzugestalten, wurde eine Reihe von Leitfragen aufgestellt:

  1. Wie gelingt es, dass weniger vereinzelt oder sogar konkurrierend und stattdessen mehr kooperativ gearbeitet wird?
  2. Wie gelingt es, sich über Unverstandenes zu verständigen, statt darüber hinwegzugehen?
  3. Wie gelingt es, dass Studierende inhaltsorientiert und nicht auf formale Hürden optimiert studieren?

2.1.3 „Aus der Krise lernen – Perspektiven der Hochschullehre für zukünftige Semester“ (Juni/Juli 2020)

Das Thema Prüfungen wurde von der ZaPF in einem separaten Positionspapier aufgegriffen. Während Präsenz-Formate Studierende einem gesundheitlichen Risiko aussetzen und sie zum Teil ganz von der Prüfung ausschließen, verfügen manche Studierende nicht über die technische Ausstattung, um an einer Online-Prüfung ungehindert teilnehmen zu können. Die ZaPF sieht es in der Verantwortung der Hochschulen, Lösungen anzubieten und allen Studierenden eine Prüfungsteilnahme zu ermöglichen. Für Online-Formate wurde zusätzlich der Aspekt der Fairness mit aufgegriffen. Studierende sahen sich hier oftmals einem generellen Betrugsverdacht ausgesetzt, da eine herkömmliche Aufsicht nicht durchgeführt werden kann. Stattdessen wurde der Schwierigkeitsgrad der Prüfung erhöht oder auf technische Eingriffe in die Privatsphäre zurückgegriffen – Maßnahmen, die die ZaPF entschieden ablehnt. Stattdessen plädierte sie darauf, flexible Formate wie Open-Book-Klausuren oder Take-Home-Assignments zu nutzen.

2.2  Corona Lehre in Köln: Herausforderungen und Chancen

[Der Input wurde von Peter Schilke selbst verschriftlicht.]

Den zweiten Input hielt Peter Schilke, Vorsitzender der Physik-Bachelor-Prüfungsausschusses an der Universität zu Köln, zudem Initiator und seit mehreren Jahren Hauptverantwortlicher für den „Dialog Lehre“. Er berichtete am Beispiel der Kölner Physik von den Herausforderungen, die die Umstellung der Lehre für den Fachbereich darstellte, die Bedeutung kooperativer und demokratischer Zusammenarbeit dabei und Vorbereitungen auf die schrittweise Rückkehr zur Präsenz:

2.2.1 Prä-Corona

Die meisten Vorlesungen in der Physik in Köln liefen klassisch ab: Präsenzvorlesungen im Hörsaal, entweder mit Kreide an der Tafel, oder mit Tablet und Beamer. Meist wurde ein Skript oder wenigstens Folienkopien zur Verfügung gestellt. Eine Videoaufzeichung in den Hörsälen war technisch möglich, wurde aber kaum genutzt. Es gab eine E-learning Platform (Ilias), die aber kaum oder nur zur Verteilung der Skripten benutzt wurde. Es gab natürlich einzelne Dozent*innen, die sowohl mit e-learning als auch mit Aufzeichnungen experimentiert haben, das allerdings meist in kleineren Master-Vorlesungen.

Für die Übungen, die auch klassisch in Präzenz, mit Übungsblättern und Vorrechnen durchgeführt wurden, gab es seit einigen Jahren eine physikspezifische Tutor*innenschule, die in Zusammenarbeit mit dem Kölner Zentrum für Hochschuldidaktik angeboten und auch rege genutzt wurde. Weiterhin gab es seit 2017 den Dialog Lehre, eine Kommunikationsplatform sowohl der Dozierenden untereinander, als auch der Dozierenden mit den Studierenden. Es gab einmal in Semester ein Treffen, in dem die Möglichkeit bestand, sich zu Inhalten, Formaten und Weiterentwicklungen auszutauschen. Die Existenz dieses Forums hat sich später als sehr wichtig herausgestellt.

2.2.2 Corona

Wie alle anderen wurden die Kölner Dozierenden von Corona und der Umstellung auf Online-Lehre fürs Sommersemester 2020 überrascht, es gab wenig Vorwarnung und Zeit für Planung. Hier zeigte sich, wie wichtig der Dialog Lehre war, denn aus den Teilnehmern dieser etablierten Platform, und der Prüfungsausschüsse, hat sich relativ schnell eine ad-hoc Task Force gebildet, die diese Umstellung gestaltet hat.

Es wurde eine Online-Sammlung auf der Lernplatform Ilias angelegt, in der es Foren, Wikis und Anleitungen zu Themen wie der technischen (wie nimmt man zu Hause Videos auf/schneidet sie), organisatorischen (wie lädt man die dann auf der Lernplatform hoch, welche andere Methoden zur Kommunikation/e-Learning gibt es dort noch) und didaktischen Umsetzung (welche Online-Lehrformate gibt es, welche Vor- und Nachteile haben sie) gab.

Besonders wichtig war, dass diese Task Force sowohl Dozierende, Übungsgruppenleitende und Studierende umfasste, dass also alle Stimmen gehört wurden, und auch schnell auf Probleme und Defizite reagiert werden konnte. Das Endergebnis war, dass zu Anfang des Semesters all diese Informationen bekannt waren, und die Umsetzung doch recht gut geklappt hat.

Parallel hat die Universität in die Infrastruktur investiert und neben Zoom- und später Mural-Lizenzen für alle Universitätsangehörigen auch die Infrastruktur der Lern- und Videoplatformen rasch ausgebaut, die von den Hardwareanforderungen nur auf die vorher mäßige Nutzung ausgelegt, und zunächst dem massiven Ansturm nicht gewachsen waren. Es gab auch auf Fakultätsebene Koordinierungstreffen, für uns waren aber die internen, physikspezifischen Maßnahmen die Entscheidenden.

2.2.3 Post-Corona

Wie wird die Lehre aussehen, wenn die Option Präsenz wieder voll verfügbar ist? Meine Vorhersage ist, dass die Uhr nicht komplett auf 2019 zurückgedreht wird, weil viele Dozierende in der Zwischenzeit Alternativen ausprobiert haben, die sie vorher nicht auf dem Schirm hatten, und die teilweise doch erstaunlich gut funktioniert haben, meist Varianten des inverted classrooms.

Zitat eines Kollegen: „das  2x90 min Vl-Modell sehe ich für mich als überholt an, finde da gibt es kreativere Hybride“ und ein anderer „Von der Präsenz echt zu profitieren durch mehr Interaktion finde ich nur fördernswert.“
Einige werden sicherlich auf die klassische Vorlesung zurückgehen, aber viele andere werden solche Hybridmodelle implementieren. Das wird auch keine Fortsetzung von 2020 sein, weil die Präsenzkomponente sehr wichtig ist, sowohl für die soziale Interaktion als auch für den wissenschaftlichen Dialog. Wir werden in der Zukunft eine größere Diversität von Lehrformaten sehen, und es ist wichtig, das zu begleiten, um durch Rückmeldung herauszufinden, was gut funktioniert, und was nicht.

2.3 Von 0 auf 100 in drei Wochen: online ExII Vorlesung im SoSe 2020

[Zusammengefasst nach einem Input von Holger Eisele.]

Im Anschluss ging es um die konkrete Realisierung von Online-Lehre:

In einem Input über die Experimentalphysik II an der TU Berlin im Sommersemester 2020 erläuterte Holger Eisele, wie dort Onlinelehre umgesetzt wurde, wie trotz teils schlechter technischer Voraussetzungen der Studierenden auf vielfältige Art synchrone und asynchrone Methoden vereint wurden. Insbesondere berichtete er auch, wie Experimente in eine abwechslungs- und lehrreiche Onlineveranstaltung integriert werden konnten und dennoch die Erfahrung geblieben ist, dass das Experiment nicht durch Onlinelehre ersetzbar ist:

Die Experimentalphysik II Vorlesung an der TU Berlin musste innerhalb kürzester Zeit auf ein online Format umgestellt werden. Dies gestaltete sich schwieriger als bei Theorievorlesungen, da das Experiment ein essenzieller Teil der Veranstaltung ist.

Für die Studierenden wurde ein handschriftliches Skript zum Selbststudium ausgearbeitet, welches Experimente als kleine Videos enthält. Die nächste Einheit wurde jeweils einen Tag vor dem Vorlesungstermin online gestellt. In der Vorlesungszeit fand ein schriftlicher Chat für Fragen und Diskussionen statt, der von einem Tutor zusammengefasst und kurz darauf zur Verfügung gestellt wurde. Es gab zwei Vorlesungseinheiten in einer Woche und beim zweiten Termin wurden zusätzlich Übungsaufgaben und eine Woche versetzt ihre Lösungen zur Verfügung gestellt.

2.3.1 Herausforderungen

Herausforderungen bei solch einer Vorlesung sind einerseits konzeptionell, wie etwa die Vermeidung von Ermüdung oder Möglichkeiten zu finden, die Persönlichkeit der Dozierenden einzubringen, und andererseits technisch, wie z.B. die Reduktion auf kleine Datenpakete, um auch Studierenden mit schlechter Internetanbindung die Teilnahme zu ermöglichen.

All dies ist einerseits ein enormer zusätzlicher Zeitaufwand für den Lehrenden, gleichzeitig ermöglicht dies aber die zeitliche Entzerrung des Studiums und somit wird auf individuelle Lerngeschwindigkeiten besser eingegangen. Die Situation, als Lehrender Filme zu produzieren, ist eine völlig neue; man ist gleichzeitig Drehbuchautor, Hauptdarsteller und Regisseur. Besonders zu Beginn ist der Aufwand für das Aufzeichnen von Videos immens und es gibt viel zu lernen bezüglich Ton, Kameraposition und Positionierung zu Experiment und Kamera. Mit Kontrollmonitor und gutem Mikrofon geht alles dann gleich viel besser.  Parallel zum Etablieren der nötigen Technik für die Videoaufnahmen wurden der erwähnte Chat geschaffen und zusätzliche E-books beschafft. Das gesamte Angebot war ausschließlich über die unieigene Lernplattform abzurufen.

2.3.2 Zwischenbilanz

Bei einer zwischenzeitlichen Evaluation gaben die Studierenden an, besonders die zeitliche Entzerrung in Kombination mit synchroner Diskussion zu schätzen; dennoch gab es einen starken Wunsch nach Rückkehr zur Präsenz.
Das Interesse an der Vorlesung war zu Beginn bei Studierenden sowie Kolleg*innen höher als in anderen Semestern. Der Schwund über das Semester war nicht anders als sonst.

Die wöchentliche Aktivität der Studierenden verteilte sich auf ca. 50% vor dem Chattermin, 20% währenddessen, 20% am gleichen Tag mit Zusammenfassung sowie 10 % zum Ende der Woche.

2.3.3 Weiterentwicklung

Im Laufe der Veranstaltung wurden die Angebote weiterentwickelt: Beispielsweise wurden auch theoretische Herleitungen aufgezeichnet und konnten so live mitverfolgt werden. Zudem wurden die physikalische Sammlung und Labore von Forschungsgruppen in die Videos eingebaut. Nicht funktionierende sowie ein gefälschtes Experiment (die Fälschung wurde später aufgelöst) wurden gezeigt, um Abwechslung in die Vorlesung zu bringen und kritisches Denken zu fördern.

Einige Aspekte der Experimente, die in Präsenz sehr viel einfacher darzustellen sind, waren in den Aufzeichnungen nicht zu sehen. Die Videos ermöglichten andererseits aber auch Dinge zu zeigen, die sich nicht einfach in einen voll besetzten Hörsaal holen lassen. Insgesamt ist es essenziell, sich auf das Medium einzulassen und sich daran anzupassen.

2.3.4 Fazit

Mit bis zu 250 Studierenden war die Lehrveranstaltung so schon machbar, bei mehr Studierenden hätte es zusätzliche Tutor*innen gebraucht, um die Chatgrößen zu verkleinern.

Die Erfahrung aus den Prüfungen zeigt, dass diese inhaltlich nicht schlechter als in früheren Semestern ausfielen, es jedoch am eigenständigen Darstellen des Erlernten fehlte.

Die Schere zwischen guten und schlechten Veranstaltungen wird durch die Krise größer und es bleibt zu sagen, dass ein Semester in Präsenz zu bevorzugen ist, besonders im Hinblick auf das Experiment.

2.4 Programming for Physicists

[Beitrag verschriftlicht von Manuel Längle, Morris J. J. Weimerskirch und Jani Kotakoski.]

Von Manuel Längle und Morris Weimerskirch wurde das Konzept der an die Coronalehre angepassten Veranstaltung „Programming for Physicists“ an der Uni Wien im Wintersemester 2020/2021 vorgestellt. Hier lag der Hauptfokus der Lehrenden darauf, den Studierenden Lernen im eigenen Tempo in einem Inverted Classroom Konzept zu ermöglichen und das so frei wie möglich zu gestalten. Außerdem wurde versucht durch Gruppenprojekte die Interaktion zwischen Studierenden zu fördern, was zum Teil auch gelang:

Das Modul Programming for Physicists (P4P) liegt im 3. Semester des Bachelors Physik. Es ist die einführende Programmierlehrveranstaltung und vermittelt Grundlagen, welche für den restlichen Bachelor notwendig sind, insbesondere für Scientific Computing oder Data Science im folgenden Semester. Als Programmiersprache wird Python3 gelehrt, abgestimmt mit den meisten anderen Lehrveranstaltungen des Bachelors. Es werden ausschließlich Open Source Werkzeuge verwendet, da diese öffentlich dokumentiert, gratis und anpassbar sind. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Studierenden die verwendeten Werkzeuge auch über die Lehrveranstaltung hinaus weiter verwenden können.

Zusätzlich zu normalen Herausforderungen, wie die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, die Studierende mitbringen, war im WiSe 2020/21 aufgrund der Corona-Pandemie ausschließlich „remote teaching“ erlaubt. Aus diesem Grund wurde das Lehrkonzept fast vollständig umgestellt, um es an die neue Situation anzupassen.

Ein Inverted Classroom Konzept wurde implementiert. Auf einer Webseite wurden die Programmierübungen, der Kern der Lehrveranstaltung, veröffentlicht sowie alle zu verwendenden Bibliotheken und Konzepte vorgestellt und mit Beispielen erklärt. Die Organisation der Programmierübungen wurde über einen speziell aufgesetzten Server mit dem version control system git durchgeführt. Bei den Beispielen wurde Wert auf einen spielerischen Zugang gelegt. Sie wurden in verschiedene Level unterteilt und der Fortschritt konnte permanent von den Studierenden überprüft werden. Videos zum Aufsetzen der Programmierumgebung sowie ein Ticketsystem, ein Forum, in dem Fragen gestellt werden konnten, wurden zur Verfügung gestellt. Wiederkehrendes wurde in den Übungsgruppen und der Vorlesungseinheit nochmal für alle besprochen.

Ab dem letzten Drittel des Semesters verschob sich der Fokus. Studierende bekamen nun die Aufgabe, in Dreiergruppen umfangreichere Projekte umzusetzen. Diese waren so entworfen, dass Studierende selbständig und kollaborativ an interessanten Fragestellungen arbeiten konnten. Es wurden 5 verschiedene Projekte zur Verfügung gestellt, aus welchen frei gewählt werden konnte. Die Anwendungen gingen von der Berechnung von Trajektorien von Planeten in einem Sonnensystem über die Simulationen von Virusinfektionen bis hin zu interaktiver Analyse von experimentellen Daten aus der Elektronenmikroskopie.

Es war uns besonders wichtig, auf die psychische Verfassung der Studierenden Rücksicht zu nehmen. Um maximale Flexibilität zu gewährleisten, gab es keine Deadlines während des Semesters, jedoch gab es wöchentlich Anleitungen mit den jeweiligen Aufgabenstellungen, um eine Struktur zu schaffen. Da wir git verwendeten, konnten wir nachvollziehen wann Studierende etwas an ihrem Code verändert haben, so genannte commits. Wir haben die zeitliche Entwicklung der commits analysiert und sind zum Schluss gekommen, dass über den gesamten Zeitraum des Semesters kontinuierlich an den Beispielen gearbeitet wurde, mit Ausnahme der Prüfungswoche und den Tagen rund um Weihnachten.

In einer unverbindlichen, anonymen Umfrage, welche den Studierenden im Anschluss zugeschickt wurde, wurde das Konzept zumindest von den 40 Respondent:innen für gut bis sehr gut in fast allen Kategorien beurteilt. Was uns besonders gefreut hat war, dass ein Drittel der Studierenden angab, durch die Gruppenprojekte neue Freund:innen gefunden zu haben, wogegen etwa ein Fünftel unglücklich mit der Arbeitsaufteilung im Projekt war.

Den git-Daten nach zu urteilen, haben von den 150 Teilnehmer:innen 139 ein Konto errichten lassen, 103 haben mindestens einmal ihre Änderungen gepushed, 76 Teilnehmer:innen waren bis zum Schluss bei den (freiwilligen) Übungen dabei.

Am Ende des Semesters wurden die erlernten Fähigkeiten mittels Take-Home-Exam abgeprüft. In drei Terminen haben bisher 96 die Abschlussprüfung positiv abgeschlossen. Der positive Abschluss der Übungen (inkl. Projekte), wenngleich nicht verpflichtend, wurde als Zusatzleistung für die Prüfung honoriert. Um die Prüfung fair zu beurteilen, erfolgte die Überprüfung hier manuell. Viele Lösungen waren deutlich besser als gefragt und sehr detailreich umgesetzt. Bei der Korrektur konnte keine Gruppenarbeit beobachtet werden, weshalb wir schlussfolgern, dass dies eine sinnvolle Art ist, eine Prüfung abzuhalten. Das Feedback der Studierenden zu dieser Art der Prüfung war äußerst positiv. Die Aufgaben wurden als sinnvoll und fair empfunden, die schnellste Abgabe erfolgte deutlich unter der Gesamtprüfungsdauer. In der Umfragen gaben die Studierenden an, dass diese ausreichend lang war.

Die Fernlehreerfahrung war für alle Lehrenden neu. Eine Mischform zwischen präsenten Übungen und Tutorien und Online-Ressourcen scheint uns langfristig am sinnvollsten, da die Interaktion mit den Studierenden online sehr viel schwieriger ist. Besonders die Hemmschwelle bei Problemen nachzufragen ist sehr viel höher, trotz des Ticketsystems und großer Bemühungen der Lehrenden ansprechbar zu sein. Dennoch eignet sich die Programmiereinführung relativ gut für Fernlehre. Insbesondere die Aspekte des autonomen Arbeitens und selbständigen Explorierens ohne Leistungsdruck würden wir gerne künftig beibehalten.

2.5 Physik studieren während COVID-19

[Beitrag verschriftlicht von Pascal Klein, Lana Ivanjek, Merten Dahlkemper, Katarina Jeličić, Marie-Annette Geyer, Stefan Küchemann und Ana Susac.]

Der abschließende Input von Merten Dahlkemper stellte eine der ersten systematischen Studien über das Physikstudium unter Corona-Bedingungen vor. Untersucht wurden darin die wahrgenommene Lerneffektivität von Studierenden, die Korrelation mit dem Studiensemester sowie Erfolgsfaktoren für Übungen und Praktika. Hier wurden vor allem Selbstorganisation und Einstellung zu Onlinelehre sowie ein funktionierender Feedback-Prozess als Schlüsselfaktoren für erfolgreiches Online-Studieren identifiziert.

Dieser Abschnitt ist eine Synopsis der Veröffentlichung [1]. Über den Artikel wurde auch in der Zeitschrift Physics in [2] berichtet:

Die Covid-19 Pandemie war im Frühjahr 2020 wenige Wochen vor dem Start des Sommersemesters eine disruptive Erfahrung für das gesamte Hochschulsystem. Lehrende und Studierende mussten sich binnen sehr kurzer Zeit auf ein für viele weitestgehend unbekanntes Lehr- und Lernformat einstellen.

Diese Erfahrung war Motivation für ein Team aus Physikdidaktiker:innen von den Universitäten in Zagreb, Wien, Dresden, Kaiserslautern und Göttingen zu erforschen, wie genau die Umstellungen die Physikstudierenden beeinflusst.
Im einzelnen wurden folgende Forschungsfragen gestellt:

  1. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der wahrgenommenen Lerneffektivität während des COVID-19-Sommersemesters und den verschiedenen Aspekten, die in der digitalen Lehre wichtig sind?
  2. Welche Unterschiede gibt es zwischen Studierenden in verschiedenen Studienjahren hinsichtlich der wahrgenommenen Lerneffektivität?
  3. Welche Formate wurden für die Etablierung von Online-Übungen verwendet und wie wurden diese von den Studierenden hinsichtlich ihrer Effektivität bewertet?
  4. Welche Formate wurden für die Einrichtung von Online-Praktika verwendet und wie wurden sie von den Studierenden hinsichtlich ihrer Effektivität bewertet?

Um diese Fragen zu beantworten, wurde ein Fragebogen entwickelt, welcher zum Teil auf Literatur, zum Teil auf Erfahrungen aus semistrukturierten Interviews mit Studierenden beruhte.
Die Themen des Fragebogens umfassten die Bewertung von simultanen und asynchronen Aktivitäten, die Einstellung zum Online-Lernen, die Kommunikations- und Selbstorganisationsfähigkeiten der Studierenden, den wahrgenommenen Lernerfolg sowie technische und soziale Aspekte. Er wurde an insgesamt etwa 2700 Studierenden an den fünf o.g. Universitäten verteilt, von denen 578 Studierende ihn beantworteten.

Eine konfirmatorische Faktorenanalyse ergab eine hohe interne Konsistenz der sechs genannten Skalen (Cronbachs α von 0,7 bis 0,9).

Bezüglich der ersten Forschungsfrage fanden die Autor:innen positive Korrelationen der wahrgenommenen Lerneffektivität mit allen anderen untersuchten Aspekten. Die beiden Aspekte mit der stärksten Korrelation sind die Selbstorganisation während COVID-19 (Pearsons r = 0,63) sowie die Einstellung zur Online-Lehre (r = 0,53).

Bezüglich der zweiten Forschungsfrage wurde ein signifikanter Einfluss des Studienjahrs festgestellt. Insgesamt war die wahrgenommene Lerneffektivität der Online-Lehre bei Erstsemestern geringer als bei höheren Semesters. Auch das Praktikum nahmen sie als weniger effektiv wahr.
Unter den beobachteten Übungsformaten wurde das Format der „Rekonstruktion“, bei dem die Lösungen zu den Übungen während einer Live-Online-Sitzung in Echtzeit rekonstruiert werden, von den Studierenden als optimales Format beurteilt. Als effektivstes Format wurde das Format der „Abgabe“ empfunden, bei dem Studierende die Lösungen zu den Übungen einreichten, und diese von den Übungsleiter:innen bewertet und zurückgegeben wurden.

Bei den beobachteten Formaten für die Praktika hatte es einen signifikant positiven Einfluss auf das Erlernen experimenteller Fähigkeiten sowie von inhaltlichen Aspekten, wenn bei den Experimenten die Daten (z.B. per Video) selber aufgenommen wurden.

Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich verschiedene Implikationen ableiten, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst werden:

Studienergebnisse Klein, P. et al.
Beobachtung Implikation
Selbstorganisation spielt eine elementare Rolle für Lernerfolg Anbieten spezieller Kurse für Studierende
Kommunikation zwischen den Studierenden korreliert mit wahrgenommenem Lernerfolg

Dozierende: Fragen stellen (mehr als üblich); interaktive Quizzes verwenden; periodisch unterbrechen, um Gruppendiskussionen anzuregen; Break-out-Räume verwenden
Fakultäten: Plattformen zur Online-Kommunikation anbieten, Gruppen klein halten

                       Die Einstellung zum Online-Lernen korreliert mit wahrgenommenem Lernerfolg      Betonen Sie die positiven Aspekte des digitalen Lernens (Eigene Zeiteinteilung, Lernen im eigenen Tempo, Wegfall von Transportwegen,...) 
  Erstsemester leiden am meisten unter dem Online-Studium  Begrenzte Ressourcen auf dem Campus sollten primär für Erstsemester eingesetzt werden
 Übungen: Benotetes Feedback wirkt sich positiv auf das Lernen aus  Do: Benotetes Feedback, Live-Diskussionen und Rekonstruktionen von Problemlösungen
Don‘t: Reines Ausgeben von Lösungen
Praktika: Eigenes Sammeln von Daten korreliert mit höherem wahrgenommenen Lernerfolg  Lassen Sie die Studierenden selbst Daten sammeln, z.B. mit Videoexperimenten, Remote-Experimenten oder Smartphone-Experimenten

Eine Folgestudie, welche auch das konzeptionelle Verständnis von Studierenden während der Online-Lehre in den Blick nimmt, ist derzeit in Arbeit. Über Updates zu dem Projekt wird unter anderem auf Researchgate informiert.

3 Podium

Auf die Vorträge folgte eine Diskussion zum Thema „Was haben wir aus der Onlinelehre gelernt? Wie gelingt es, dies langfristig fruchtbar zu machen?“mit Lehrenden, Studierenden, Didaktiker_innen und Interessierten. Für das Podium waren Professorin Susanne Heinecke sowie die Studierenden Wanda Witte und Amr El Miniawy eingeladen. Weitere Diskutant*innen waren die Vortragenden der Impulsbeiträge sowie andere Anwesende.

3.1 Probleme

Direkt zum Anfang der Diskussion kam der Punkt der aktuell weitgehend fehlenden sozialen Ebene im Studium auf. Es wurde ausgiebig argumentiert, inwiefern diese nicht nur eben eine „Erlebniskomponente“ des Studiums sei, sondern ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen (Lehr- und) Lernprozesses. Eine Gruppendynamik, z.B. innerhalb einer Übungsgruppe, sei online sehr schwierig zu etablieren. Die Beziehungsebene, im Rahmen derer auch Vertrauen zwischen Lehrenden und Lernenden entstehen kann, verschwinde. Diese sei aber die Ebene, auf der Studierende am meisten Feedback gäben, das wiederum für eine gelungene Lehre essenziell sei. Besonders auffällig sei dabei die oft zu beobachtende Verringerung an Kamera-aktiven Teilnehmer:innen im Laufe des Semesters.

Das Physikstudium sei, so war man sich einig, nur schwierig als „Alleingänger“-Studiengang sinnvoll zu gestalten oder auch nur zu bewältigen. Dies bedeute insbesondere für Studienanfänger:innen eine große Schwierigkeit. Fehlende Experimente, denen es im Videoformat an „Realismus“ mangelte, erwiesen sich zudem als spezifisches Problem der Physik (bzw. der Naturwissenschaften).

Neben der Frage der Kooperation, die sich nicht nur für Studierende stelle, wurde von massiv erhöhter Arbeitsbelastung der Lehrenden berichtet, die derzeit nötig sei, um überhaupt sinnvolle Lehre durchzuführen. Der Prozess sei von Dozierendenseite sehr von „Learning by Doing“ dominiert gewesen. Eine erhöhte Arbeitsbelastung sei aber auch bei den Studierenden zu verzeichnen.

3.2 Beantwortung der Probleme

Viele Ansätze für konkrete Veranstaltungen (die über eine reine Zoom-Vorlesung hinausgingen) beruhten auf „inverted classroom“-ähnlichen Formaten. Das „individuelle Nachbereiten“ des Inputs, was sonst aus den Lehrveranstaltungen ausgelagert worden sei, sei mehr ins Zentrum gerückt worden. Diese Nachbereitung sei eben der Prozess der Vertiefung, in dem „das eigentliche Verstehen“ entstehe und der besonders vom Wegfall der sozialen Ebene und der informellen Begegnung betroffen sei. Diese Einschätzung traf auf Zustimmung und bettete sich gut in eine allgemeine Diskussion über das „Lernen im eigenen Tempo“ ein. Denn die Varianz der für das Studium notwendiger Zeitinvestition sei groß in der Studierendenschaft. Die „Nachhaltigkeit des sonst nur gesprochenen Wortes“, insbesondere die Fähigkeit kurz in einem Video zurückzuspulen, sei eine favorisierte Eigenschaft von Vorlesungsvideos unter Studierenden.

Neben der Etablierung von asynchronen Formaten entwickelte sich der Anspruch „interaktiv wo auch immer möglich“ zu werden. Fragerunden zu schon aufgenommenen Vorlesungen, eine erhöhte Anzahl von Live-Übungen, digitale Sprechstunden zu den bereitgestellten Materialien seien entstanden. Da es eben am Sozialen mangelte, war es umso wichtiger, bewusst und gezielt über die Inhalte zu reden. Das erkläre zum Teil die Reduktion von Vorlesungen – sehr frontalen Formaten – zugunsten von Fragestunden und Tutorien (wobei „Fragestunden“ oft Studierende abschreckten, so mehrere Teilnehmer:innen).

Bei all dem würden sichtlich Anstrengungen unternommen möglichst inkludierend zu sein. Dies wurde z.B. an Versuchen festgemacht, Studierende mit suboptimaler Internetverbindung auch komprimierte Materialien zur Verfügung zu stellen.
Auch z.B. Projektarbeiten hätten diesbezüglich eine gewisse Bedeutung. Bei großen Studierendenanzahl sei die feinschrittige Begleitung, die eigentlich für den Erfolg notwendig sei, aber oft nicht machbar. An diesem Beispiel zeige sich die wichtige Rolle des individuellen Feedbacks, die im Vortrag von Merten Dahlkemper betont worden war. Es sei „das Einzige was übrigbleibt“, wo nun das Nonverbale wegfalle, so eine Mitdiskutierende.

3.3 Individuelles versus soziales Lernen

Der Verlust der sozialen Komponente des Studiums in der Coronazeit sei schmerzlich, habe aber eine organische Weiterentwicklung des individuellen Studierens erlaubt. Angesichts dessen wurde als zentrale Frage erkannt: Wie gelingt die Balance zwischen Lernerfolgen, die über individuell angepasste Kanäle stattfinden können einerseits, und andererseits Gefühlen der Kohäsion und ein Bewusstsein der Relevanz, die entstehen, wenn man in einer Gruppe lernt?
Die Beantwortung dieser Frage blieb offen; in der Coronazeit habe man aber auf jeden Fall verstanden, was individuelle Räume ausmache und wie man sie schaffe. Dass die Unterstützung der Studierenden beim selbstständigen Lernen so in den Fokus genommen werde, sei eine neue Entwicklung.

3.4 Was soll bleiben?

Wenn der Zusammenhalt in der Studierendenschaft über synchrone Formate induziert wird, sei die Frage noch offen, wie das Gelernte über das Individuelle am besten in die Zeit nach der Pandemie zu übertragen wäre. Die Diskussion dieser Frage beinhaltete im Wesentlichen drei Punkte:

Vielleicht wäre es sinnvoll, nun die „Vorlesungszeit“ gar nicht mehr als die Zeit zu verstehen, in der die primäre Wissensvermittlung stattfindet, sondern vielmehr als „Kontaktzeit“, wo der Austausch und die Vertiefung („das echte Verstehen“, s.o.) ein Zuhause findet.

Ein weiterer Vorschlag bezog sich auf das Praktikum, deren Potenzial oft ungenutzt sei: Hier sei der Ort der Handlungsorientierung, wo Studierende Konzepte tatsächlich selbst anwenden, im Experiment bzw. im Protokoll, sie wiederholen und verinnerlichen könnten. Zwar sei dies auch jetzt schon theoretisch in den Konzepten berücksichtigt, könne aber innerhalb der Praktika viel mehr mit Leben gefüllt werden; zudem könnten die Praktika innerhalb der Studiengänge viel mehr als Scharnierveranstaltung ins Zentrum rücken, anstatt nur als „Extra“ betrachtet zu werden.

Es wurde in den Raum gestellt, ob „trockenere“ Schemata (VL-UE-Prüfung-Repeat) sich mit der Einführung des Bachelor-Master Systems etabliert hätten, und ob nicht die damit einher gehende Verschulung gegen die Etablierung modernerer Veranstaltungskonzepte wirke. Dies äußere sich z.B. stark in Prüfungsversuchsbeschränkungen und in einer allgemeinen Unterrepräsentanz nichtschriftlicher Prüfungsformate. Man habe verlernt, auf individuelle Lernbegebenheit einzugehen, so ein Mitdiskutierender. Man habe auch einfach Angst, Neues zu probieren, so ein Weiterer. In der Corona-Zeit sei aber ab einem gewissen Punkt üblich geworden, sich unter Lehrenden auszutauschen; über das Technische, aber auch über das Didaktische. Das gehe oft Hand-in-Hand und nehme die diese Angst.

Es wurde kurz die Frage aufgeworfen, ob diese Lernprozesse, die sich in Corona über die didaktische Landschaft der Universitäten entfaltet hätten, mit dem Ende der Pandemie unterbrochen würden. Man müsste und sollte etwas festhalten, bzw. konkrete, artikulierte Konsequenzen aus der Zeit ziehen. Man war zwar der Meinung, dass dieses Gelernte einen großen Stellenwert habe, aber es gab die Diskussion, ob das Gelernte sich nicht schon erfolgreich verbreitet habe oder es noch einen „Push“ brauche. Insbesondere Studierende artikulierten die Angst, dass man nach der Pandemie zu einem „status quo ante“ zurückkehre und Errungenes verloren gehen könnte. Das sei aber eher Pessimismus, so andere Mitdiskutierende. Umgekehrt wurde auch die Angst artikuliert, langfristig bei digitalen Formaten zu bleiben. Manche begründeten diese Furcht mit der Trägheit der jetzigen Lage, andere machten sie an Kapital- und Machtinteressen sowie eingeschränkten Möglichkeiten politischer Organisation fest. Aber eine Welt nur digital: darauf hatte keine:r Lust.

4 Ausblick

Die Corona-Pandemie hatte und hat massive Auswirkungen auf Lehre und Studium. Sie hat die größte Bildungsreform nach Bologna ausgelöst und musste zudem fast vollständig von Lehrenden und Studierenden ohne zusätzliche Unterstützung oder Ressourcen gemeistert werden.
Vieles ist dabei ausprobiert und verworfen worden; Altbekanntes wurde aktualisiert, Lernen und Verstehen als gemeinschaftlicher Prozess wurden ins Bewusstsein gerufen, neue Widersprüche wie Vereinzelung vs. individualisiertes Lernen wurden sichtbar, sind aber noch weitgehend unbeantwortet.

Dass solche Fragen überhaupt ernsthaft aufgeworfen werden, ist neu und eine Errungenschaft der Corona-Semester, die sich auch in unserem Workshop widerspiegelte. Die Fruchtbarkeit solcher Debatten steht aber in einem dissonanten Verhältnis zur Gesamtlage an den Hochschulen, die auch in einigen Inputs deutlich zur Sprache kam.

Nach Ansicht der Autor:innen zeigt dies, dass es nicht reicht, die durch die Pandemie aufgeworfenen Fragen im Rahmen einzelner Veranstaltungen, bestehender Prüfungsordnungen, auf Dienstwegen usw. zu beantworten. Entscheidend wäre ein Sprengen oder zumindest ernsthaftes Hinterfragen dieser Rahmenbedingungen, um der tatsächlichen Lage gerecht zu werden: Worauf soll es wirklich ankommen – im Studium und im Leben?

In jedem Fall ist es nun, wo die Hochschulen hoffentlich bald wieder öffnen, an der Zeit, einen intensiven Austausch über die individuellen Erfahrungen anzustreben und nicht nur aus den eigenen Erfolgen und Fehlern zu lernen, sondern auch aus denen von Kolleg:innen – und zwar gemeinsam. Es ist essenziell, dass nun, da Erfahrungen gemacht und individuell ausgewertet wurden, systematisch aufgearbeitet wird und gemeinsam Konsequenzen aus dem Gelernten gezogen werden.

Wir hoffen mit unserem Workshop hierfür einen Aufschlag gemacht zu haben und wünschen uns weitere Reflexion und Entwicklung.

5 Literatur

[1] Klein, P. et al.: Studying physics during the COVID-19 pandemic: Student assessments of learning achievement, perceived effectiveness of online recitations, and online laboratories. Physical Review Physics Education Research, 17(1), 010117.

[2] Schirber, M. (2021). Students Evaluate Online Teaching. Physics, 14, 37.

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