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Double Inverted Classroom

Übungen statt Vorlesungen als roter Faden durch die Veranstaltung

Stefan Brackertz

Universität zu Köln, I. Physikalisches Institut

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Die Kölner Master-Veranstaltung Molecular Physics II ist eine sehr Mathematik-lastige Experimentalphysik-Veranstaltung, die sich mit einem Nischenthema befasst, das meistens vor allem von Theoretischen Chemiker*innen bearbeitet wird. Um dabei die Expertise des Wuppertaler Kollegen Per Jensen, Experten auf diesem Gebiet, einzubinden, wurde schon länger mit Inverted Classroom-Elementen experimentiert. Angeregt durch die Fachbereichsdebatten zur Umstellung auf Online-Lehre im April 2020 wurde schrittweise eine eigene Variante von Inverted Classroom entwickelt. Dabei entsteht der Rote Faden der Veranstaltung nicht mehr durch das von den Studierenden vorzubereitende Material, vielmehr wird die Veranstaltung zu einer Schnitzeljagd durch Online-Vorlesungen, alte Mitschriften aus Bachelor-Vorlesungen, die Bibliothek usw.

Per Jensen hat nicht nur Standard-Lehrbücher zum Thema Molekülsymmetrien geschrieben (z.B. [1], [2],), sondern angefangen seine Vorlesung zum Thema inklusive Folien und Übungsaufgaben bereits in hoher Qualität über seine Webseite der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, als noch nicht überall über Open Science gesprochen wurde.1 Die Kölner Molekülphysik hat zudem bei diesem Thema und besonders auch zu floppy molecules, bei denen Symmetrien teils der einzige Zugang sind, eng zusammengearbeitet. Vor diesem Hintergrund haben immer wieder einzelne Kapitel der Veranstaltung Molecular Physics II quasi als Inverted Classroom aufbauend auf der Wuppertaler Online-Vorlesung stattgefunden.

1 Nach seinem unerwarteten Tod 2022 hat die Universität Wuppertal leider die Webseite von Per Jensen inklusive aller Open-Science-Ressourcen darauf innerhalb kürzester Zeit vom Netz genommen und plant auch nicht, diese Ressourcen der Allgemeinheit wieder zur Verfügung zu stellen.

Eine Erfahrung dabei war, dass nur sehr wenige Studierende sich die Vorlesungsvideos tatsächlich zur Vorbereitung ansehen. Zu den Gründen dafür zählen sicherlich u.a.

  • Die Studierenden waren (damals) Inverted Classroom wenig gewohnt waren.
  • Der Leistungsdruck in der Veranstaltung ist gering (nicht allzu aufwändige Übungsaufgaben, deren Abgabe nicht verpflichtend ist, keine Anwesenheitspflicht, keine Prüfungszulassung, flexibel terminierbare mündliche Prüfung); gleichzeitig belegen die Studierenden typischerweise parallel Veranstaltungen mit verpflichtenden Abgaben und festem Klausurtermin am Ende des Semesters.
  • Ein recht dichtes Curriculum, das nur wenige Studierende in Regelstudienzeit absolvieren, wobei gleichzeitig relativ viele Studierende auf Visa angewiesen sind, deren Verlängerung über die Regelstudienzeit hinaus bürokratische Hürden, wenn nicht mehr bedeutet, und die oft auch Schwierigkeiten haben ihr Studium zu finanzieren, weil sie in Deutschland keine Arbeitserlaubnis haben.
  • Die Wuppertaler Materialien sind für Chemie-Studierende gestaltet und legen daher in der Ausführlichkeit der Erläuterungen manchmal Schwerpunkte, die nicht 1:1 für Physik-Masterstudierende passen.

Begegnet wurde dieser Schwierigkeit recht erfolgreich dadurch, dass die Übungsleiter bei Bedarf Zusatztermine angeboten haben, um bei Kaffee und Kuchen die Vorlesungsvideos im Rudel zu gucken, wobei auch immer wieder einmal angehalten, drüber geredet, vor oder zurück gespult wurde etc.

Herausforderung Corona

Einerseits machte die Schließung der Unis zu Beginn des Sommersemesters das Rudelgucken unmöglich, andererseits reagierte die Physik-Fachgruppe erfreulich proaktiv auf die Unischließung, indem eine Reihe von Arbeitsgruppen aus Dozierenden und Studierenden gebildet wurden, an denen sich sehr viele Dozierende und Studierende beteiligt haben und die sich teils mehrmals pro Woche mehrere Stunden (online) getroffen haben, um für die gesamte Fachgruppe Wege zu entwickeln, um unter den gegebenen Bedingungen eine halbwegs erfreuliche Lehre zu gestalten. [3] Diese Wege wurden in zahlreichen Treffen der gesamten Fachgruppe vorgestellt und in einem Fachgruppen-internen Wiki dokumentiert. Erfreulicherweise ging es dabei nicht nur um technische Aspekte, sondern auch um didaktische. Exemplarisch findet sich die Seite dieses Wikis zu den didaktischen Herausforderungen der Online-Lehre und Lösungsstrategien im Supplementary Material dieses Beitrages. Gleichzeitig wurde von Anfang an in den Blick genommen, wie durch Teststrategien, technische Gebäudeausstattung, Lehre unter freiem Himmel etc. möglichst zügig wieder ein Präsenzbetrieb ermöglicht werden konnte.

Schnitzeljagd

Nachdem das Semester mit den Wuppertaler Online-Videos und abgewandelten Wuppertaler Übungsaufgaben, die in ausführlichen ZOOM-Sitzungen besprochen wurden, gestartet hatte, wurden in Rücksprache mit den Studierenden verschiedene Ideen aus den Arbeitsgruppen der Fachgruppe ausprobiert. Relativ schnell hat sich dabei im beschriebenen Setting mit nur einer Übungsgruppe aus rund 15 Studierenden, von denen die meisten etwa jeden zweiten Veranstaltungstermin wahrgenommen haben, folgendes Modell als passend erwiesen:

  • Nicht mehr die Vorlesungsvideos, sondern die zu bearbeitenden Übungszettel leiten durch die Veranstaltung. Dazu ist jedes Übungsblatt einem Thema gewidmet, das in den verschiedenen Aufgaben des Übungsblattes von verschiedenen Seiten her aufgerollt wird. Dabei gibt es immer so viele Übungsaufgaben, dass die Studierenden eine Auswahl haben, welche Aspekte sie interessant finden. Das Thema des Übungsblattes wie die einzelnen Aufgaben sind dabei knapp eingeordnet, wobei meistens drei Aspekte berücksichtigt sind: Was ist die Relevanz des Themas im Gesamtkontext der Veranstaltung? Welche technischen Aspekte lassen sich daran erarbeiten und üben? Welche wissenschaftshistorische Rolle spielt  das Thema / die Herangehensweise / das Phänomen / der Versuch?
  • Alle Aufgaben waren mit Hinweisen dazu versehen, wie sich die Studierenden die zur Lösung notwendigen Kenntnisse erarbeiten konnten. Dabei spielten die Wuppertaler Vorlesungsvideos bzw. die Folien dazu die Hauptrolle, eingebunden wurde aber auch Literatur, Kenntnisse der Studierenden aus anderen Veranstaltungen, die Kommiliton*innen etc. Im Laufe der Zeit ist die Veranstaltung dabei immer weniger der Reihenfolge der Vorlesungsvideos gefolgt
  • Im Sinne der Idee des sog. Just-in-Time Teachings hat sich der Veranstaltungs-Rhythmus dabei immer weiter verdichtet: Die Studierenden haben die Aufgaben wöchentlich in Gruppen am Nachmittag vor der Übung per Mail geschickt und bis zum nächsten Morgen um 8 Uhr korrigiert und mit individuellen Lerntipps zurückbekommen. In den Rückgabe-Mails wurden sie auch je nach Abgabe individuell gefragt, ob sie bestimmte Teile ihrer Lösung vorstellen wollen. Dadurch hatten sie bis zur Übung am Mittag nicht nur Zeit, sich ihre Korrekturen anzusehen, sondern auch zu überlegen, ob und wie sie etwas vorstellen wollen. Erst angesichts des Verlaufs der Übung wurde dann das nächste Übungsblatt gestaltet und noch am selben Tag veröffentlicht. (Um dies zu ermöglichen wurde teils auf „Schönheit“ verzichtet und Aufgaben wild aus den Wuppertaler Materialien, Büchern usw. zusammenkopiert, um eigene Aufgaben ergänzt, ausgedruckt, handschriftlich verändert, wieder eingescannt usw., was in den Evaluationen teils als „Collage“ bezeichnet wurde.)
  • Die sich auf einen wöchentlichen Rhythmus einpendelnden Übungen, die oft deutlich länger als die vorgesehenen 90 Minuten dauerten und immer mitgeschnitten wurden, wurden durch zwei ganztägige Workshops ergänzt, die an Samstagen inklusive gemeinsamer Mittagspause unter freiem Himmel stattfanden.

Didaktische Überlegungen

Aebli schreibt: „Begriffe bilden wir (...), indem wir das Geflecht von Beziehungen, das den Begriffsinhalt konstituiert, aufbauen. (…) Der Lehrer hat in seinem Geiste das Netz der aufzubauenden Beziehungen gegenwärtig. (…) In jedem Falle nehmen wir nun aber das Netz der aufzubauenden Beziehungen an einem Zipfel auf und entfalten es schrittweise.“ [4]

Zum Veranstaltungsgefüge

Bei der nachträglichen Einordnung dessen, was sich über das Semester herauskristallisiert hat, ergibt sich: Mit jedem Übungsblatt wurde das Netz an einem anderen Zipfel aufgenommen. Dabei haben die einzelnen Aufgaben jeweils Fäden am betreffenden Zipfel gesponnen, sodass in der Besprechung jedes Übungszettels ein Teilnetz entstanden ist.

Dabei wurden aber nicht nur Fäden innerhalb des Teilnetzes gesponnen, sondern auch Fäden ausgeworfen sowohl zu anderen Zipfeln (ob sie in der Veranstaltung schon besprochen waren oder nicht) des Netzes als auch zu anderen Veranstaltungen (ob sie alle Studierenden belegt hatten oder nicht). Typischerweise wurden dabei Zipfel aufgenommen, die in der Nähe bereits behandelter Zipfel lagen. Daran wurde in der Übung dann aktiv angeknüpft. Dadurch, dass sich immer auch auf Ba-Grundkenntnisse zur Quantenmechanik bezogen wurde, gab es immer ausgeworfene Fäden, die bei allen Beteiligten direkt an etwas anknüpfen konnten, obwohl viele Studierende nicht jede Woche an den Übungen teilgenommen oder etwas abgegeben haben und sicherlich zwischendurch auch mal Studierende verloren gegangen waren, die aber so wieder neu einsteigen konnten. Bei dieser Anknüpfung leisteten Quizzaufgaben wie in [5] diskutiert sehr hilfreich.

In den Workshops wurde dann eine Landkarte des jeweils bis dahin aufgebaute Netzes erarbeitet.

Zu den Aufgaben

  • Die klassischen Rechenaufgaben, die sich z.B. auch viel im Wuppertaler Material finden, lassen sich oft mit den Anleitungen in den Wuppertaler-Videos Kochrezept-artig lösen und sind auf diese Art für Physik-Masterstudierende oft trivial. Deshalb wurde ihre Anzahl im Verhältnis zu früheren Durchläufen ein wenig reduziert. Dafür wurden sie in bereits angedeuteter Weise in einen größeren Kontext eingebunden. So haben die Studierenden sie einerseits kurz durchrechnen und ein erstes Erfolgserlebnis erreichen können. Sie mussten in der Übung auch meist nicht, oder nur kurz diskutiert werden.
  • Damit es nicht beim Abarbeiten von solchen Rezepten bleibt, wurden diese Aufgaben ergänzt durch Fragen, die genau auf die Stellen der Vorlesung zielen, an denen für Chemiker*innen Selbstverständliches nur kurz gestreift wird, an denen die Mathematik nicht allzu formal sauber oder mit impliziten Annahmen aufgeschrieben ist. Z.B.: „In Minute 5 von Video 8 findet sich Halbsatz ‚XY‘. Schreibt dies so auf, wie ihr es in einer Analysis-Übung tun würdet.“ „Warum hat die Wellenfunktion SU(2)-Symmetrie, die angeblich aus der Rotationssymmetrie des Raumes folgt? Rotationssymmetrie ist doch SO(3), oder nicht?“ „Auf Folie 6 von Vorlesung 2 kommt die Variable K vor, auf Folie 3 von Vorlesung 12 auch. Ist das das Gleiche?“
  • Dabei sind immer auch Aufgaben dabei, die eine Vernetzung zwischen verschiedenen Teilen der Vorlesung herstellen, vor allem aber auch mit dem bei einem Studiengang mit rund 40% internationalen Studierenden sehr heterogenen Vorwissen aus dem Ba, z.B. „Schlagt in euren Ba-Notizen das Ehrenfest-Theorem nach. Kann man die Formel von Folie X prinzipiell auch damit herleiten?“ „Warum kann man diese Schrödingergleichung nicht einfach lösen? Welche Ansätze kennt ihr aus dem bisherigen Studium, um Physikalische Probleme anzugehen, die nicht / nur schwer analytisch gelöst werden können. Welche sind hier anwendbar, welche nicht?“
    Die Erfahrung mit diesen Aufgaben ist, dass die Studierenden diese Aufgaben fast immer mit der richtigen Formel beantworten, aber fast immer drunter schreiben, dass sie das leider schon damals nicht verstanden haben und sie es frustrierend finden, das vor Augen geführt zu bekommen. Dennoch ist das Nachlesen und Stutzen sehr hilfreich für die Besprechung, die sich dann leicht mit den bereits angesprochenen Multiple-Choice-Quizzfragen beginnen lässt und die die Studierenden in den Evaluationen durchweg als besonders wertvoll einschätzen. Auf diese Weise wurde auch immer versucht, eine Brücke zwischen dem eher Chemie-orientierten Zugang der Wuppertaler Vorlesung, dem Physik-orientierten Vorwissen der Studierenden und einer Herausbildung der Grundbegriffe und -ideen der Darstellungstheorie, die zwar die Sprache der „reinen Mathematik“, die die Studierenden in ihren ersten Unisemestern irgendwann einmal gelernt haben, verwendet, inhaltlich für die Studierenden aber komplett neu ist.
  • Um den erwähnten Gesamtkontext herzustellen, wurden immer wieder vereinfachte hypothetische oder historische Forschungsprozesse nachempfunden, z.B.: „19XX kannte man die Geometrie des Wassers noch nicht. Es gab dazu zwei Hypothesen, nämlich S und P. Die Entscheidung darüber, welche stimmt, war von grundsätzlicher Bedeutung, weil... 19YY Auf diesem Übungsblatt wollen wir exemplarisch durcharbeiten, wie sich diese Frage mit Hilfe der 19YY neuen Messung eines Spektrums beantworten lässt…“
    Hierbei wurden auch immer wieder Aufgaben zur Literaturrecherche und zum Umgang mit Messdaten eingebaut, die manche Studierenden aber konsequent nicht bearbeitet haben („Ich hasse es in altertümlich gedruckten Tabellen zu wühlen.“). Gerade auch in Lockdown-Zeiten gab es aber z.B. auch (beliebtere) Aufgaben wie: „Findet eine*n Studierende*n mit Ba-Arbeit in Festkörperphysik, eine*n mit Ba-Arbeit in Theoretischer Physik und eine*n mit Ba-Arbeit in Kernphysik und befragt sie und Wikipedia, was ein Quasi-Teilchen ist. Kristallisiert das Gemeinsame der Antworten heraus. Was davon findet sich im Vorlesungsvideo 3?“

Wie viele Studierende Übungsaufgaben abgegeben haben und wie viele Aufgaben dann jeweils wie gut bearbeitet wurden, hat sehr geschwankt. Fast alle Studierende sind über das Semester dran geblieben, haben aber in etwa 50% der Wochen die Aufgaben nicht angesehen. Wenn die Studierenden abgegeben haben, haben sie meist alle Aufgaben angesehen und etwa 50% davon bearbeitet, wobei die Bearbeitungen selten vollständig waren. Die Gesamtkonzeption, dass jede Übung als Ganze einem Zipfel des Netzes gewidmet war und z.B. Quizzfragen, die erst nach der Korrektur der Übungen erstellt wurden und zum Zipfel gepasst haben, die Besprechungen eröffnet haben, hat es ermöglicht, sich in der Übung dem Thema der Übung von einer Seite zu nähern, die einerseits für alle neu war und andererseits ermöglicht hat, dass die, die Aufgaben bearbeitet hatten, sich damit einbringen konnten.

Sehr bewährt haben sich Quizzfragen, die sich ableiten aus Abgaben, die nicht falsch, aber auch nicht wirklich richtig sind: Fortgeschrittene Physikstudierende haben typischerweise ein gutes Gefühl und genug assoziativen Background, um zu wissen, was man schreiben muss, damit etwas nicht falsch ist (oder zumindest in einer Klausur keinen Punktabzug gibt). Gleichzeitig liest man als Übungsleiter mit ein bisschen Erfahrung zwischen den Zeilen fast immer dennoch raus, wo eigentlich etwas unverstanden ist, sei es, dass im Lösungsweg an entscheidender Stelle ein Zwischenschritt fehlt, aber es dennoch richtig weiter geht, weil die Sprache schwammig wird oder nicht mehr sagt, was physikalisch ist, sondern nur noch beschreibt, wie Formeln umgestellt werden, weil Formeln ohne klar definierten Bezug assoziativ nebeneinander stehen. Solche Fundstücke haben sich als hervorragender Ausgangspunkt herausgestellt: Eine Quizzaufgabe, die auf den Punkt in solch eine Unklarheit reingrätscht, nutzt erfahrungsgemäß allen Studierenden, räumt oft mit jahrelangen Unklarheiten auf und sorgt damit für viele befriedigende nachgeholte Aha-Effekte. Im Rahmen einer solchen Diskussion lassen sich die ursprünglichen Aufgaben auf dem Übungszettel dann oft in einem Nebensatz klären, zumal alle oben erwähnten Aufgabenarten sich ‒ den richtigen Ansatz vorausgesetzt ‒ immer in maximal 5 Zeilen lösen ließen.

Wie weiter?

Sowohl die Evaluation durch die Fakultät als auch eine immer wieder zwischendurch durchgeführte DIY-Evaluation2 waren positiv und die Prüfungen mit erfreulichem Ergebnis, vor allem aber sind kaum Studierende abgesprungen und relativ viele sind danach der Molekülphysik auf irgendeine Weise treu geblieben. Auch als 2021 Präsenzveranstaltungen dieser Größe problemlos wieder möglich waren, wurde dieses System erfolgreich beibehalten. In 2022 war der Anteil der Molekülsymmetrie erheblich geringer. Auf Wunsch der Studierenden waren zahlreiche Exkurse in die Molekülphysik I-Veranstaltung eingebaut worden, weshalb Stoff, der in den Vorjahren dort behandelt worden war, in die Molekülphysik II gerutscht ist. Dieser Stoff wurde herkömmlich mit Tafelvorlesung und davon abgeleiteten Übungsaufgaben behandelt. Umgekehrt wurden die im Folgenden noch näher erläuterten didaktischen Überlegungen hinter der Gestaltung der Übungsaufgaben, das Just-in-Time Teaching und die Gestaltung der einzelnen Übungen 2022 in der gesamten Molekülphysik so gehandhabt wie hier beschrieben.

Wenn nicht nur die Kontaktzeit zur Diskussion statt für Input genutzt wird, sondern zusätzlich der Rote Faden nicht aus dem Input, sondern aus den Aufgaben kommt, ist eine verknüpfende Aufgabenbesprechung einerseits wichtig und andererseits mit ein paar einfachen Tricks wie dem erwähnten Einsatz der Quizzes auch relativ leicht zu realisieren. Eine Dynamik, wie sie die erwähnte dichte just-in-time-Gestaltung mit sich bringt, ist dabei sehr hilfreich. Dabei stellt sich die Frage, ob dies auch bei größeren Veranstaltungen mit mehreren Übungsgruppen zu realisieren ist bzw. was man real verliert, wenn die Rahmenbedingungen diese Dynamik nicht erlauben.

2 Der Übungsleiter hat in einem geteilten Online-Textdokument z.B. 2 Fragen gestellt und Antwortmöglichkeiten darunter geschrieben. Die Studierenden konnten über einen geteilten Link anonym sowohl weitere Antwortmöglichkeiten als auch weitere Fragen ergänzen und über die Antwortmöglichkeiten abstimmen, indem sie z.B. ein „+1“ dahinter geschrieben haben. Darüber hinaus konnten die Studierenden die Fragen, die Antwortmöglichkeiten und auch das Abstimmungsverhalten der anderen Studierenden kommentieren. Typischerweise haben die Studierenden mehr und triftigere Fragen gestellt als die vom Übungsleiter als Start vorgegebenen und sich alle zu sämtlichen Antwortmöglichkeiten verhalten. Die Diskussionen, die sich innerhalb kürzester Zeit im Pad ergeben haben, waren immer wertschätzend, oft amüsant und sehr hilfreich für die weitere Veranstaltungsgestaltung.

Literatur

[1] Bunker, P.R., and Jensen, P.: Molecular Symmetry and Spectroscopy. E-book edition. NRC Research Press  2012

[2] Bunker, P.R., Jensen, P.: Fundamentals of molecular symmetry. Inst. of Physics Publ., Bristol 2005

[3] Brackertz et al.: Workshop: Hochschuldidaktische Konsequenzen aus zwei Semestern Krisenlehre. In: PhyDid B 2021, Didaktik der Physik, Beiträge zur DPG-Frühjahrstagung
https://ojs.dpg-physik.de/index.php/phydid-b/article/view/1176

[4] H. Aebli: Grundformen des Lernens; Klett, 1977, 10. Auflage, S. 201 ff.

[5] Quizzes, Artikel des Studienreform-Forums, https://studienreform-forum.de/de/forum-2023/beitrage-2023/2023/03/05/quizzes/
(Stand 5/2023)

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